Wir EuropäerInnen haben in den friedlichen Jahren nach 1989 verlernt, mit Propaganda umzugehen. Dabei sind die Zeiten zur Manipulation öffentlicher Meinung so gut wie nie. Jede große Kommunikationsrevolution, so fortschrittlich sie wirken mag, brachte immer auch Zwietracht, Polarisierung und Konflikt hervor, welche durch gezielte oder ungezielte Beeinflussung öffentlicher Meinung maßgeblich verschlimmert wurde. So hat die massenhafte Verbreitung billiger (Schund-)Presse zu nationalistischen Aufwallungen in allen beteiligten Ländern des ersten Weltkriegs geführt. Die Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks wird häufig in Verbindung mit Religionskriegen in Europa gebracht. Daher ist es nicht erstaunlich, dass auch das Internet und soziale Medien, neben allen Vorteilen, großes Potential zum Missbrauch haben.
Ich selbst habe dies acht Jahre in Ungarn erlebt, und das, obwohl mein Ungarisch alles andere als gut ist. Während dieser Zeit hat das Orban Regime eine gigantische Propagandamaschine aus Plakaten, Zeitungsannoncen, sozialen Medien, Fernsehberichten, bis hin zu Gas-/Stromrechnungen mit politischen Inhalten angeworfen. Natürlich unter freundlicher Mithilfe des „großen Bruders“ aus Moskau, der Orban auch mit zahlreichen finanziellen und technischen Hilfen unterstützt.
Als regelmäßiger Spaziergänger – wir haben einen Hund – bekommt man die Früchte dieser Propaganda en passant deutlich zu spüren. Um nur mal die verrückteste These zu nehmen, die ich in dieser Zeit gehört habe: Der Grund, warum Deutschland 2015/6 zahlreiche syrische Bürgerkriegsflüchtende aufnahm, lag darin, dass Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg von französisch-moslemischen Besatzungssoldaten unterworfen und heimlich islamisiert wurde!
Mittlerweile verstehen wir gut, dass es derzeit in allen Industrieländern eine große rechtspopulistisch und rechtsradikale Propagandakampagne gibt, die versucht, demokratische Institutionen infrage zu stellen, nationalistische Gefühle zu schüren und xenophobe, rassistische und homophobe Ansichten zu verbreiten. Wenn jedoch schon eine Minderheit von Wählern Viktor Orban in einer elektoralen Autokratie zu einer stabilen Regierung verhilft, dann ist nicht verwunderlich, dass die russische öffentliche Meinung durch den KGB-ausgebildeten Diktator Putin noch viel stärker und erfolgreicher manipuliert wurde und, jetzt im Krieg, noch viel mehr manipuliert wird.
Doch darum geht es mir hier gar nicht. Mir geht es vielmehr darum, was man praktisch als Einzelner dagegen tun kann.
Und da, glaube ich, müssen wir immer noch viel dazulernen. Ich selbst bin ganz eindeutig kein Experte, aber ich will trotzdem ein paar praktische Überlegungen teilen. Denn es ist nicht damit getan, einfach auf die Manipulation hinzuweisen. Mit reinen Fakten, sofern sie denn in Russland und bei Putins UnterstützerInnen und SympathisantInnen überhaupt ankommen, ist es nicht getan.
1.) Wer tritt in Kommunikation? Sollte es sich dabei um einen Bot oder einen bezahlten Propagandisten handeln, lohnt sich die Mühe nicht. Manchmal erkennt man das schon an unwahrscheinlichen Twitterprofilen. Ebenso ineffizient ist der Umgang mit besonders radikalisierten hardcore Anhängern. Das ist zumeist Zeitverschwendung. Darüber hinaus gibt es jedoch eine breite Menge von Menschen, die von Propaganda vereinnahmt wurden, die man aber durchaus noch umstimmen kann und mE auch umstimmen muss.
2.) Bei solchen Menschen ist es absolut wichtig, sie gerade am Anfang nicht zu antagonisieren. Ich sage nicht, dass man mit ihnen sympathisieren soll. Aber man muss sie verstehen, etwas reden lassen. Gerade am Anfang ist es wichtig, Triggerworte wie ‚Rassist‘, ‚Nazi‘ etc. zu vermeiden. Nicht, um die Meinung des anderen zu tolerieren, sondern um sie zu unterwandern. Der direkte ‚Angriff‘ führt fast immer zu instinktiven Abwehrhaltungen des anderen. Daher sollte man, wenn überhaupt, immer nur Argumente des anderen kritisieren, aber nicht den anderen persönlich.
3.) Viele Arten von fake news enthalten einen mikroskopisch-großen Anteil von Wahrheit. Nehmen wir Putins angeblichen Feldzug gegen ukrainische Neonazis. In der Tat gibt es in der Ukraine hässliche Auswüchse des Rechtsextremismus. Die eigentliche fake news liegt in der grotesken Übertreiben, nämlich dass die ukrainische Regierung nur aus Neonazis bestünde, und sogar einen Genozid gegen russische BürgerInnen in der Ukraine betreibe. Daher muss die Argumentation eher darauf basieren, die Unverhältnismäßigkeit eines Angriffskrieges zu betonen. Man kann auch über reductio ad absurdum gehen: Wenn Putin etwas gegen Neonazis hat, müsste er mit sich und vielen seiner Anhänger in einen Krieg treten, denn seine Ansichten sind eindeutig rechtsradikal. Außerdem unterstützt Putin – und das wissen die meisten Leute mit rechter Gesinnung selbst – rechtsradikale und rechtspopulistische Bewegungen in vermutlich allen europäischen Ländern.
4.) Es ist aus meiner Erfahrung wenig hilfreich direkt gegen ein Argument, ein Faktum anzureden, sondern eher bestehende Meinungen indirekt zu destabilisieren. In Ungarn habe ich, wie auch in Deutschland, oft gehört, dass Intellektuelle sowieso nur sich selbst überhöhen wollen und angeblich weniger Gebildeten unwahre Dinge erzählen. Dieser Reflex ist in postkommunistischen Ländern meiner Erfahrung nach noch stärker ausgeprägt. Ich sage in solchen Fällen immer, dass das sein kann, aber dass in meiner Kindheit die coolsten Typen alle Handwerker waren, und dass bei uns niemand auf ‚einfache Werktätige‘ herabsah. Es geht um das Aufbrechen von Narrativen – das ist ein schwieriger, komplexer Prozess, der viel Fingerspitzengefühl benötigt. Wenn man jedoch mal eine solche Basis aufgebaut hat, kann man sich auch an politisch viel heiklere Themen machen.
5.) Sollte man tatsächlich etwas ‚Terrain‘ gewonnen haben, sollte man diese Tatsache am besten gar nicht groß thematisieren oder bewerten. Allenfalls dafür danken, dass der andere sich Zeit genommen hat. Keinesfalls betonen, dass der andere Zeit/ Energie oder sogar an Ruf eingebüßt hat. Die meisten professionellen Konfliktschlichter betonen, dass es ganz entscheidend ist, dass die andere Seite ihr Gesicht wahren kann. In Zeiten eines Krieges klingt dies wie ein unzumutbares Zugeständnis, aber es ist zumeist die einzige Alternative. Wie gesagt, so etwas kann nicht für Kriegsverbrecher gelten, wohl aber für politische hochgradig manipulierte Mitläufer- und SympathisantInnen.